‚Schreib doch mal einen lustigen Bericht über den Halbmarathon!‘, sagte Flo zu mir. Einen lustigen Bericht, pah! Nee, wer will das denn lesen?, dachte ich mir. Und nun tippe ich ihn doch, den Bericht. Über meinen zweiten offiziellen Halbmarathon, zweimal Berlin für mich. Und leider kann ich euch nicht sagen, ‚es war wunderschön, alles toll. Lief sich wunderbar. Sonnig, super Publikum‘.
Ich Unmensch habe die Sonne und manchmal auch sämtliche Menschen, sowohl andere Teilnehmer, inklusive Flo, als auch die Zuschauer währenddessen dezent verflucht. Wieso? Fangen wir von vorne an.
Nachdem wir an dem Samstag vor dem großen Tag ziemlich viel auf den Beinen waren, nach einer kurzen Nacht, habe ich richtig gut geschlafen. Naja, dazu muss gesagt sein, dass ich überall gut schlafe. Ich bin in der Lage 1,63 Minuten auf den Boden, egal welcher Untergrund, zu liegen, und einzuschlafen. Flo sagt immer liebevoll und vielleicht etwas neidisch, weil er dieses Talent nicht besitzt, dass ein Helikopter neben mir landen könnte ohne mich zu wecken. Aber weiter zum Halbmarathon.
Ausgeschlafen war schon mal eine gute Voraussetzung vor dem Start. Allerdings – Achtung, jetzt wird es irgendwie nicht so appetitlich. Kopfkino ist nicht erwünscht: habe ich natürlich ein flaues Gefühl im Magen. Ich möchte diese Thematik hier gar nicht weiter vertiefen. Diese Angelegenheit ist nicht wirklich optimal vorm Start, aber ich versuche mich zu entspannen. ‚Mia, wozu aufgeregt? Du bist nicht dabei einen Weltrekord zu knacken. Chill dein Leben, mein lieber Magendarmtrakt‘ – Sicherheitshalber trinke ich wenig, viel zu wenig wie es sich am Ende herausstellte.
Das Dixi-Klo besuche ich trotzdem auch sicherheitshalber nochmal bevor es zum Startblock geht. Mit dezenter Übelkeit verlasse ich dieses Scheißhaus und begebe mich mit Flo zum Startblock D. Menschenmassen, viel Musik, Lautsprecher. ‚Wenn Sie sich nicht gut fühlen, dann starten Sie bitte nicht!‘, tönt es über mir. Ich überlege kurz, und gebe mich geschlagen. Flucht ist jetzt nicht möglich, Gesundheit ist vorhanden. Schade! ‚3..2..1..‘, und los geht es.
Kurzzeitig muss ich darüber nachdenken, wie meine Beine funktionieren, aber irgendwann laufen sie los, die zwei.
‚Welche Pace?‘ – das waren wohl die häufigsten zwei Worte – ein richtiger Satz ist es nämlich nicht, obwohl das viele Menschen vielleicht gar nicht wissen, das Verb fehlt! – in den nächsten 01:59:51.
Mit 5:10min/km ließen wir uns von der Masse mitreißen. Viel zu schnell für mich zum Warmlaufen. Das wusste ich zu diesem Zeitpunkt bereits, aber irgendwie ging langsamer nicht klar. (Geheimtipp: Achtet bitte auf euer Anfangstempo!)
Auf den Straßen ist so viel los. So viele Menschen feuern die Läufer an. Allein diese Tatsache ist es wert an den Start zu gehen.
Bei Kilometer 7 wurde mir klar, dass der zu schnelle Start mir einiges an Kraft geraubt hat. Flo lief überwiegend vor mir und zog mich dadurch mit. ‚Wir sind super in der Zeit!‘, versuchte er mich zu motivieren, als er meine unmotivierte Visage erblickte.
‚Welche Pace?‘ – fragte ich zum wiederholten Male. Mehr Kraft für weitere Worte konnte ich unmöglich verschwenden. ‚5:25min/km‘ – ‚zu schnell, langsamer. Ich kack ab!‘ – Er verstand und so trottete ich weiter hinter ihm her.
Die Sonne kostete mich sehr viel Kraft. So durstig wie zu diesem Zeitpunkt war ich noch nie in meinem Leben. An der nächsten Versorgungsstation griff ich nach einem Becher Wasser und lief weiter. Glücklich versuchte ich an dem Wasser zu nippen. Doch dieses spritze mir dabei ins linke Augen, sodass ich kurzzeitig nichts sah und den nahezu vollen Becher zu Boden schmiss, direkt vor Flos Füße. Erfolgreich Wasser konsumieren geht anders. Der Durst nahm animalische Ausmaße an. Ich versuchte meine Lippen etwas mit meiner Zunge zu befeuchten, ließ es aber bleiben, denn das kostete auch Kraft, die ich nicht besaß.
Endlich 9,6 Kilometer, ich schnappte mir mein Powergel, riss es auf und verschlang es.
‚Jetzt geht es dir besser, Mia, hast du verstanden?‘, schimpfte ich ein wenig mit meinem wehleidigen Gehirn.
Bei Kilometer 11 dachte ich mir, ‚Hälfte geschafft‘ und gleichzeitig ‚wie soll ich dasselbe nochmal überstehen?‘ – aber bringt ja alles nichts. Ich fieberte jeder Versorgungsstation entgegen. Ein weiteres Gel musste dran glauben. Wasser und Isodrink mussten ebenfalls herhalten.
Überall jubelten Menschen uns zu. Es wurde getrommelt, geschrieen, gesungen – während ich mich fragte, ob ich mich überhaupt vom Fleck bewegte. Aber irgendwann sah ich das 15-Kilometer-Schild und irgendwo zwischen den Kilometern auch ein Schild, welches eine Frau hochhielt. ‚Genieß es, du hast dafür bezahlt‘ – ich grinste, und dachte mir, wie paradox die Situation doch gerade ist. Bezahltes Quälen.
Flo rief mir mit dem Blick auf sein Handy zu, dass uns bei Kilometer 17 seine Eltern erwarten, wir sollten uns rechts halten. Ich dachte mir ‚Lass mich in Ruhe, ich habe andere Probleme‘ – und mahnte mich gleichzeitig ‚hör auf du böser Mensch!‘
Als wir uns also seinen Eltern näherten, überlegte ich ernsthaft, wie es denn wäre, wenn ich dort diese Veranstaltung abbrechen würde. ‚Nerv mich nicht, lauf weiter und halt‘ den Rand jetzt!‘ – wies mich die vernünftige Gehirnhälfte zurecht. Ich brach nicht ab und winkte sogar mit einem gequälten Lächeln unseren treuen Fans.
Anschließend malte ich mir aus, wie schön es doch sein wird, wenn ich das 20-Kilometer-Schild endlich erblicke. Die Pace war mir zu diesem Zeitpunkt nun völlig egal. Flo lief voraus. Mein Angebot, dass er ohne mich weiterläuft, lehnte er ab. Ich ärgerte mich über ihn und war gleichzeitig so froh, dass er da war.
Ich sags euch, das reinste Wechselbad der Gefühle.
‚Nur noch 3 Kilometer!‘, brüllten uns zwei kleine Jungs entgegen, die ich zu diesem Zeitpunkt am liebsten geboxt hätte. Schande über mein Haupt. ‚Hast du gehört, Mia, 3 Kilometer noch!?‘, hörte ich Flo, und sah, dass er nebenbei einen Snap produzierte. Wie kann dieser Mensch jetzt an Snapchat denken? ‚Die haben leicht reden..‘, schnaubte mein böses Ich.
Inzwischen gingen einige Läufer ein paar Schritte. Die Kräfte neigten sich sichtbar dem Ende. Mein Durst und die Wärme machten es mir sehr schwer. ‚Meinst du, wir können noch etwas Tempo machen?‘, wieder Flo und eine Frage, für die ich ihm am liebsten den Hals umgedreht hätte. Tempo, haha. Wenn du mich schiebst, du Arsch, dachte ich mir und stöhnte ‚ich kann nicht mehr!‘ – ‚Okay! Wir haben es bald geschafft!‘ – Als meine Augen das Schild mit der wunderschönen 20 erblickten, hätte ich definitiv losgeheult vor Freude, sofern ich die notwendige Kraft dafür übrig gehabt hätte. ‚Sind wir unter 2 Stunden?‘ – ‚Hoffentlich, vielleicht können wir noch ein wenig das Tempo anziehen am Ende‘ – ich nickte nur, und wusste nicht, wie ich das meinen Beinen klar machen sollte schneller zu laufen. Mein Mund klebte, ich sehnte mich nach Wasser. Literweise, leicht sprudelig.
‚Denk an die Pizza!‘, grinste mir Flo zu. ‚Durst!‘, Pizza war mir sowas von egal. Selbst der Gedanke an Sushi bereitete mir keine Glücksgefühle wie üblich.
Ich versuchte tatsächlich ein wenig schneller zu laufen auf den letzten Metern.
‚Wir haben es geschafft!‘, Flo drückte mich im Ziel, ‚Ich muss kotzen, oder so‘, lautete meine Antwort. ‚Bleib nicht stehen!!!‘ – ich blieb nicht stehen, ich lief. Wisst ihr wohin? Zum Wasser! Ich gönnte mir auf einen Schlag 3 Becher Wasser. Ein Helfer sah mir dabei zu und hielt mir eine Banane hin. Bananaaaa! Isodrink? Wieso nicht? Bisschen zu süß. ‚Tee?‘ – ‚Her damit?‘ – bäh! Das war ekelhaft. Bier? Ja! Medaille? Jaaa! Raus aus der Menschenmenge? Jaa! Ja! Bitte ja! Wer läuft freiwillig ohne gezwungen zu werden – so nach dem Motto ‚Lauf einen Marathon, oder ich verprügel dich ordentlich!‘ – einen ganzen Marathon? Danke, danke, danke, dass ich diese Schnapsidee bisher noch nicht in die Realität umgesetzt habe.
Und wisst ihr, welchen Gedanken ich bald hatte? ‚Wo laufen wir den nächsten Halbmarathon?‘ – ich schwöre es euch!
Nach diesen knapp 2 Stunden, die mir einiges abverlangten. Die Anstrengung heimste mir einige böse Gedanken ein, für die ich mich gedanklich mehrfach entschuldigte bei allen Leidtragenden in meinem Schädel. Aber es hat sich gelohnt. Zumal ihr unbedingt wissen müsst, dass jeder Lauf von der Tagesform abhängt. Ja, klar, auch vom Training, welches davor hoffentlich ausreichend stattgefunden hat. Aber jeder Tag bringt neue Voraussetzungen. Meine waren an diesem Morgen, danke lieber Magendarm, nicht die allerbesten. Mein letzter Lauf fand bei 5 Grad statt, der Wettkampf bei 20 und Sonne. Das alles spielt eine große Rolle. Ehrgeiz bezüglich der Zielzeit ist super, aber lasst euch deswegen nicht stressen.
Ich bin Hobbyläuferin. Das Training hat auch nicht optimal hingehauen. Ich bin verdammt stolz, dass ich diese lange Strecke gemeistert habe. Für das nächste Mal weiß ich jetzt, dass ich mich noch mehr entspannen werde und anders starten muss. Langsamer aber dafür genussvoller. Mein Leben, mein Tempo, mein Lauf, mein Stolz! Ihr könnt es alle schaffen!
Janina
Haha…bester Blogartikel seit laaaangem. Oh Gott, so gut! Und so ich! Ich habe gerade meinen ganzen Halbmarathon nochmal gedanklich durchlebt. Identische Gedankengänge an sehr vielen Stellen! Mein Gehirn war wie Gollum. Es wechselten sich „Bleib sofort stehen! Wir wollen das nicht! Geh einfach ins Hotel und leg dich ins Bett!“ und „Nein! Niemals! Bloß nicht stehen bleiben, niemals stehen bleiben! Nicht aufgeben!“ ab. Und ja, die Sonne, die blöde Kuh, hat mich fertig gemacht! Aber so wie du sagst…die ersten 2 Stunden habe ich das Laufen verflucht, danach kam mir die Planung für den nächsten HM schon in den Kopf! Am liebsten im Winter mit möglichst wenig Sonne :-D…
Mühlenberg Fred
Hallo liebe Mia und Flo,
Deine ehrlichen Gedanken finde ich sehr gut ?
Und ich finde es super wie du es gemeistert hast.
Ich ziehe echt den Hut vor dir?
Bei deinem 3. Halbmarathon schauts schon ganz anders aus,
du hast deinen inneren Schweinehund besiegt und bewiesen
das es klappt.?Und du hast doch einen ganz tollen „“Zieher““Hase““als Vorläufer gehabt??
Es grüßt euch ganz toll aus Heimat Gudrun und Fred
Jule
Herrlich – scheinbar geht es uns allen ähnlich auf diesen Läufen. Für mich ist es immer deprimierend, dass der Mann so mühelos vorneweg läuft und dabei keinen Tropfen Schweiß verliert 😀 dafür verfluche ich ihn auch immer innerlich. Besonders freue ich mich dann über Kommentare wie „komm, jetzt streng dich nochmal richtig an“, „jetzt die letzten 3km bleiben wir unter 5:30“ – und deine Beine sind schwer wie Blei und am liebsten würdest du auf der Stelle stehen bleiben.
Woher kam die Nervosität? Wolltest du dich „selbst unterbieten“?
Auf jeden Fall eine großartige Zeit, das soll dir mal so schnell jemand nachmachen. Da ist es vielleicht auch nicht verwunderlich, dass es dir so schlecht ging 🙂
Liebe Grüße!